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Kennedy und das CDC-Impfgremium – Wendepunkt oder politisch motivierte Demontage?

Der Fakt

Im Juni 2025 sorgte eine beispiellose Entscheidung des US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. weltweit für Aufsehen: Er entließ das vollständige Beratungsgremium für Impfempfehlungen der US-Seuchenschutzbehörde CDC – das sogenannte Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP). Die Begründung lautete auf angebliche Interessenkonflikte und das Ziel, das öffentliche Vertrauen in Impfentscheidungen wiederherzustellen. Diese Maßnahme wirft jedoch weitreichende Fragen auf: Geht es hier wirklich um Transparenz – oder um eine politische Agenda, die die wissenschaftliche Unabhängigkeit gefährdet?


Was ist das ACIP und warum ist es von zentraler Bedeutung?

Das Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) ist ein beratendes Expertengremium der Centers for Disease Control and Prevention (CDC), das Impfempfehlungen für die US-Bevölkerung erarbeitet. Die Mitglieder – unabhängige Fachleute aus Medizin, Epidemiologie, Impfstoffforschung und öffentlicher Gesundheit – analysieren klinische Daten, bewerten Sicherheitsprofile und beraten die CDC bei der Umsetzung nationaler Impfstrategien.

In seiner Funktion ist das ACIP mit der deutschen Ständigen Impfkommission (STIKO) vergleichbar, hat jedoch aufgrund der föderalen Struktur der USA und des politischen Einflusses auf Gesundheitsentscheidungen ein noch höheres Maß an Bedeutung. Seine Empfehlungen bestimmen maßgeblich darüber, welche Impfstoffe in nationalen Programmen verwendet, von Versicherungen übernommen oder bei Kindern und Risikogruppen priorisiert werden.


Die Entlassung – Ein beispielloser Eingriff

Am 10. Juni 2025 verkündete das US-Gesundheitsministerium überraschend die sofortige Entlassung aller 17 Mitglieder des ACIP. In einer Pressekonferenz begründete Kennedy diesen drastischen Schritt mit “systemischen Interessenkonflikten” und der Notwendigkeit, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Dabei betonte er, dass das Gremium “seit Jahrzehnten keinen einzigen Impfstoff abgelehnt” habe und zu eng mit der Pharmaindustrie verbunden sei.

Diese Behauptung löste innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Welle der Kritik aus. Gesundheitsökonomen, Epidemiologen und ehemalige CDC-Direktoren warnten eindringlich vor der Politisierung eines bislang unabhängigen Beratungsgremiums. Der Vorgang sei ein Angriff auf die Integrität wissenschaftlicher Entscheidungsprozesse und könne gravierende Auswirkungen auf die Akzeptanz und Wirksamkeit von Impfprogrammen haben.


Wissenschaft unter Druck: Kritik an der Entscheidung

Fachlich lässt sich die Entlassung kaum rechtfertigen. Mitglieder des ACIP unterliegen bereits heute strengen Transparenz- und Offenlegungspflichten. Interessenkonflikte müssen bei jedem Beratungsthema offengelegt werden, und bei relevanten Überschneidungen dürfen sich betroffene Mitglieder nicht an der Abstimmung beteiligen.

Zudem werden Impfempfehlungen des ACIP auf Basis umfangreicher klinischer Daten getroffen und regelmäßig evaluiert. Dass über Jahrzehnte hinweg kein Impfstoff abgelehnt wurde, ist weniger ein Zeichen für Korruption als ein Indiz für die hohe regulatorische Qualität und Vorprüfung der Kandidaten durch die US-Arzneimittelbehörde FDA.

Viele Beobachter sehen in Kennedys Schritt daher weniger eine Initiative für Transparenz als vielmehr einen Versuch, das Gremium ideologisch neu auszurichten. Kennedy, bekannt für seine impfkritischen Positionen und als prominente Figur der sogenannten „Medical Freedom“-Bewegung, könnte so Einfluss auf künftige Impfempfehlungen nehmen – mit potenziell gravierenden Folgen für die öffentliche Gesundheit.


Was ist an den Vorwürfen dran?

Bisher gibt es keine stichhaltigen, öffentlich zugänglichen Beweise für systematische Korruption oder schwerwiegende Interessenkonflikte innerhalb des ACIP. Das Gremium unterliegt mehreren Ebenen der Kontrolle, einschließlich öffentlicher Protokolle, Anhörungen und interner Ethikrichtlinien.

Kennedys Vorstoß wirkt daher selektiv und politisch motiviert. Kritiker sprechen von einem „Säuberungsakt“ zur Etablierung eines impfkritischen Narrativs. Es besteht die Befürchtung, dass das neue, von Kennedy eingesetzte Gremium aus Personen bestehen könnte, die seine skeptische Haltung gegenüber Impfstoffen teilen – was den objektiven wissenschaftlichen Diskurs massiv untergraben würde.


Die möglichen Folgen: Ein Riss im Fundament der Impfpolitik

Die Konsequenzen dieses radikalen Eingriffs sind kaum abzusehen. In einer Zeit, in der die Impfraten in den USA ohnehin rückläufig sind – nicht zuletzt durch die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie und zunehmende Desinformation – könnte der Vertrauensverlust in wissenschaftlich fundierte Empfehlungen weiter eskalieren.

Ohne ein glaubwürdiges, unabhängiges Gremium wie das ACIP droht die Impfpolitik in den USA zunehmend zum Spielball politischer und ideologischer Interessen zu werden. Dies könnte nicht nur zu einer sinkenden Impfbereitschaft führen, sondern auch die Rückkehr längst besiegt geglaubter Krankheiten wie Masern oder Keuchhusten begünstigen.


Fazit: Ein gefährlicher Präzedenzfall

Die Entlassung des ACIP ist mehr als ein verwaltungstechnischer Vorgang – sie markiert einen potenziell historischen Wendepunkt in der US-Gesundheitspolitik. Robert F. Kennedy Jr. hat mit seinem Vorstoß nicht nur ein etabliertes, international anerkanntes Gremium aufgelöst, sondern auch die Grundsatzfrage aufgeworfen, inwieweit wissenschaftliche Beratung politischer Opportunität untergeordnet werden darf.

Ob die Neubesetzung tatsächlich zu mehr Transparenz und Vertrauen führt, bleibt abzuwarten. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass dieser Präzedenzfall eine Welle der Unsicherheit auslöst – nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Ländern, in denen wissenschaftliche Unabhängigkeit zunehmend unter Druck gerät.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Kennedy der Erneuerer oder der Zerstörer eines bewährten Systems ist. Klar ist: Die Glaubwürdigkeit der Impfpolitik steht auf dem Spiel.

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