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Milliardeneinsparungen durch neuen Mindestlohn

Wenn von “Milliardeneinsparungen durch den Mindestlohn” die Rede ist, horchen viele auf – zu Recht. Diese These klingt fast zu gut, um wahr zu sein: Ein höherer Mindestlohn soll nicht nur die Beschäftigten entlasten, sondern auch dem Staatshaushalt Milliarden einbringen? Ich bin dieser Aussage auf den Grund gegangen – mit einem kritischen Blick auf Studien, politische Entwicklungen und die wirtschaftliche Realität hinter der Schlagzeile.

Wo stehen wir aktuell beim Mindestlohn?

Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland liegt derzeit bei 12,41 Euro (Stand: Juni 2025). Die Mindestlohnkommission, die paritätisch mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter:innen sowie unabhängigen Expert:innen besetzt ist, hat für die kommenden Jahre moderate Erhöhungen beschlossen: 13,90 Euro im Jahr 2026, 14,60 Euro im Jahr 2027. Das ist ein klarer Schritt nach oben – wenn auch nicht so weitgehend, wie es die SPD fordert. Diese hatte bereits im Bundestagswahlkampf die Marke von 15 Euro pro Stunde ins Spiel gebracht. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hat angekündigt, den Vorschlag der Kommission umzusetzen.

Warum könnte der Staat profitieren?

Die Kernthese vieler Medienberichte lautet: Weniger “Aufstocker”, mehr Steuereinnahmen – das bringt Milliarden. Gemeint sind Menschen, die trotz Voll- oder Teilzeitjobs auf Bürgergeld (ehemals Hartz IV) angewiesen sind, weil der Lohn nicht zum Leben reicht. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betrifft das derzeit etwa 800.000 Personen in Deutschland. Wenn der Mindestlohn steigt, könnte ein Teil dieser Gruppe ihren Anspruch verlieren – und der Staat entsprechend sparen.

Der Ökonom Enzo Weber vom IAB hat hierzu konkrete Berechnungen vorgelegt: Durch geringere Ausgaben für das Bürgergeld, aber auch durch höhere Einnahmen aus Lohnsteuer und Sozialabgaben würde der Staat jährlich mehrere Milliarden Euro gewinnen. Nach seinen Modellen fließen etwa 40 % des zusätzlichen Lohns über Abgaben an den Staat – ein beachtlicher Hebel. Auch die Arbeitgeber leisten mit einem Anteil von rund 20 % ihren Beitrag über Sozialversicherungsbeiträge.

Schon nach der Einführung des Mindestlohns 2015 zeigte sich ein ähnlicher Effekt: Laut IAB profitierte der Staat jährlich mit 2,2 bis 3 Milliarden Euro durch Entlastungen und Mehreinnahmen.

Aber ist das nicht zu einfach gedacht?

Natürlich – und hier lohnt ein genauer Blick. Die Berechnungen sind statisch, sie gehen von einem unveränderten Beschäftigungsniveau aus. Doch was passiert, wenn Unternehmen wegen höherer Lohnkosten Arbeitsplätze abbauen oder weniger Personal einstellen? Genau das befürchten viele Arbeitgeberverbände.

Bisherige Studien geben jedoch Entwarnung. Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland sowie dessen spätere Erhöhungen haben nicht zu nennenswerten Jobverlusten geführt. Im Gegenteil: Viele Minijobs wurden in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt – ein Fortschritt sowohl für Beschäftigte als auch für die Sozialkassen.

Auch internationale Studien, wie die des Nobelpreisträgers David Card, zeigen: Moderate Mindestlohnerhöhungen führen in der Regel nicht zu Arbeitsplatzverlusten, sondern können sogar positive gesamtwirtschaftliche Effekte haben – etwa durch höhere Kaufkraft und stärkere Binnennachfrage.

Doch wo liegen die Risiken?

Trotz aller positiven Signale: Wirtschaftliche Realität ist selten schwarz-weiß. Ökonom:innen warnen, dass sehr starke oder zu schnelle Erhöhungen negative Folgen haben könnten – insbesondere für kleinere Betriebe mit niedrigen Margen. Diese könnten mit Preiserhöhungen, Automatisierung oder gar Personalabbau reagieren. In strukturschwachen Regionen könnte der Druck auf Unternehmen spürbar steigen.

Ein Mindestlohn ist kein „Allheilmittel“. Er wirkt – aber nur im richtigen Maß.

Was sagen Gewerkschaften und Institute?

Die Hans-Böckler-Stiftung und das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) betonen, dass der Mindestlohn einen spürbaren Beitrag zur Reduzierung von Lohnungleichheit leistet. Ihre Untersuchungen zeigen, dass insbesondere Geringverdiener:innen von der Anhebung profitieren – ohne dass dadurch die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung gefährdet würde.

Interessant ist auch der Blick auf europäische Empfehlungen: Ein Mindestlohn von 60 % des Medianlohns gilt laut EU-Richtlinie als fair und armutsfest. Ein Stundenlohn von 15 Euro würde in Deutschland ungefähr dieser Marke entsprechen – zumindest aus heutiger Sicht.

Fazit: Milliarden-Chance mit realistischem Blick

Die Idee, dass der Staat durch einen höheren Mindestlohn Milliarden sparen und zugleich investieren könnte, ist nicht aus der Luft gegriffen. Sie ist plausibel – und durch Studien belegbar. Doch es wäre naiv, darin ein Selbstläufer-Modell zu sehen. Ob sich die prognostizierten Effekte in voller Höhe einstellen, hängt maßgeblich davon ab, wie Unternehmen und Arbeitsmarkt reagieren.

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