Wegzugsbesteuerung – hindert Deutschland seine Bürger an der „Republikflucht“?
Einleitung
Immer mehr Deutsche tragen sich mit dem Gedanken, die Heimat dauerhaft zu verlassen. Motive sind vielfältig: berufliche Chancen, mildere Steuerregime im Ausland oder schlicht Lebensqualität. Doch wer glaubt, er könne sein Unternehmen und dessen Wertsteigerungen einfach „mitnehmen“, stößt schnell auf eine harte Realität – die Wegzugsbesteuerung. Denn der deutsche Fiskus lässt nicht los, wenn im Inland erarbeitete Werte ins Ausland verlagert werden. Doch ist das ein legitimer Schutz des Steueraufkommens – oder eine faktische Auswanderungssperre?
Was bedeutet Wegzugsbesteuerung?
Die Wegzugsbesteuerung greift, wenn ein Steuerpflichtiger mit einer wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (mindestens 1 % der Anteile an einer GmbH, AG oder vergleichbaren Gesellschaft) seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt (§ 6 AStG – Außensteuergesetz).
Juristisch betrachtet wird der Wegzug wie ein fiktiver Veräußerungsvorgang behandelt. Das bedeutet:
- Der Anteilseigner gilt so, als hätte er seine Gesellschaftsanteile verkauft.
- Auf die Differenz zwischen Anschaffungskosten und dem aktuellen gemeinen Wert wird Einkommensteuer fällig.
- Ein tatsächlicher Geldzufluss findet dabei nicht statt – die Steuer entsteht also „auf dem Papier“.
Damit soll verhindert werden, dass die im Inland entstandenen Wertsteigerungen später im Ausland steuerfrei realisiert werden können.
Warum gibt es diese Regelung?
Der Hintergrund ist simpel: Deutschland möchte sicherstellen, dass hier erwirtschaftete Wertzuwächse auch hier besteuert werden.
Beispiel:
Ein Unternehmer gründet in Deutschland eine GmbH, deren Anteile im Wert von 100.000 € auf 5 Mio. € steigen. Zieht er nun nach Dubai oder in die Schweiz und verkauft dort steuerfrei, wäre das deutsche Steueraufkommen dauerhaft verloren. Mit der Wegzugsbesteuerung wird ein solcher „Steuerspalt“ geschlossen.
Die Regelung ist kein deutsches Einzelphänomen – ähnliche Konzepte existieren in vielen OECD-Staaten, etwa Frankreich, Kanada oder den USA.
Wer ist betroffen?
- Mindestbeteiligung: Anteilseigner mit mindestens 1 % an Kapitalgesellschaften.
- Mindestaufenthalt: Mindestens sieben Jahre unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland innerhalb der letzten zwölf Jahre (bis 2021 waren es zehn Jahre).
- Betroffene Fälle:
- Wegzug ins Ausland mit Aufgabe des deutschen Wohnsitzes.
- Übertragung von Anteilen auf Personen im Ausland.
- Schenkungen oder Erbschaften mit Auslandsbezug können ebenfalls betroffen sein.
Besonderheit EU/EWR: Bei Umzügen innerhalb der Europäischen Union oder in EWR-Staaten (z. B. Norwegen, Island, Liechtenstein) gibt es Erleichterungen. Die Steuer kann zinslos gestundet oder in Raten über bis zu sieben Jahre gezahlt werden, oft gegen Sicherheitsleistung. Ein dauerhafter Erlass erfolgt jedoch nicht automatisch.
Kritik und Kontroversen
Die Wegzugsbesteuerung ist hoch umstritten:
- Liquiditätsprobleme: Da kein echter Verkauf stattfindet, fehlen Betroffenen oft die Mittel zur Steuerzahlung. Besonders junge Gründer oder Erben können so in existenzielle Schwierigkeiten geraten.
- Europarechtliche Bedenken: Die Regelung schränkt die unionsrechtlich garantierte Freizügigkeit von Personen und Kapital ein. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Deutschland bereits in früheren Entscheidungen zu Nachbesserungen gezwungen – ob die aktuelle Fassung unionsrechtskonform ist, bleibt Gegenstand juristischer Diskussion.
- Standortnachteil: Kritiker befürchten, dass die Regelung Deutschland für Gründer und Investoren unattraktiver macht, da ein späterer Ausstieg steuerlich blockiert wird.
Fazit: Gerechtigkeit oder Bremse der Mobilität?
Die Wegzugsbesteuerung ist weder reine „Strafsteuer für Auswanderer“ noch eine bloße Schikane, sondern ein Instrument zur Sicherung des inländischen Steueraufkommens. Sie folgt internationalen Standards, doch ihre Ausgestaltung wirft erhebliche Fragen der Verhältnismäßigkeit auf.
Nicht jeder, der Deutschland verlässt, ist betroffen – normale Arbeitnehmer oder Selbständige ohne Kapitalgesellschaftsanteile können in der Regel ohne Wegzugsbesteuerung auswandern. Wer jedoch Gesellschafter einer GmbH oder AG ist, muss mit erheblichen steuerlichen Belastungen rechnen.
Empfehlung:
Wer einen Wegzug ins Ausland erwägt, sollte frühzeitig steuerliche und rechtliche Beratung in Anspruch nehmen. Mit sorgfältiger Planung – etwa durch Holdingstrukturen, Nutzung von EU-Regelungen oder rechtzeitige Nachfolgegestaltung – lassen sich Nachteile oft abmildern.
Am Ende bleibt die Wegzugsbesteuerung ein Spiegelbild des Grundkonflikts zwischen staatlichem Steuerinteresse und der Freiheit des Einzelnen zur Mobilität – eine Debatte, die politisch wie juristisch noch lange nicht abgeschlossen ist.

