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“Turbotempo-Gesetze” der neuen Bundesregierung?

Eine kursierende Meldung behauptet, die neue Bundesregierung (Union und SPD) habe ein ungewöhnliches Verfahren eingeführt, um eine Vielzahl von Gesetzen im Eiltempo durchzubringen. Konkret geht es um die Einbringung von Gesetzentwürfen direkt durch die Fraktionen, verkürzte Beratungsfristen und das Umgehen von Stellungnahmen durch Bundesregierung und Bundesrat, um zentrale Wahlversprechen schnell umzusetzen. Zu den genannten Vorhaben zählen unter anderem die Aktivrente, die Abschaffung des Bürgergeldes, Änderungen im Arbeitszeitgesetz, eine Stromsteuersenkung und die Verlängerung der Mietpreisbremse.

Wie viel Substanz steckt hinter diesen Behauptungen? Und gibt es tatsächlich ein neues Verfahren, das die Gesetzgebung drastisch beschleunigt?


Faktencheck: Was ist dran an den Behauptungen?

1. Verfahren: Gesetze im Eiltempo – wirklich neu?

Nach dem Grundgesetz können Gesetzentwürfe von der Bundesregierung, dem Bundesrat oder aus der Mitte des Bundestages (also von Fraktionen) eingebracht werden. In der Praxis stammen die meisten Entwürfe von der Regierung, aber Fraktionen können – und tun dies auch – Gesetze direkt einbringen, insbesondere wenn sie die Mehrheit im Bundestag stellen. Das ist also kein neues Verfahren, sondern gelebte parlamentarische Praxis.

Was die Beschleunigung betrifft: Es gibt keine formelle Möglichkeit, Bundesrat und Bundesregierung bei zustimmungspflichtigen Gesetzen komplett zu umgehen. Allerdings kann der Bundestag bei eigenen Initiativen auf bestimmte Fristen verzichten, und der Bundesrat kann auf Antrag Fristen verkürzen – das ist aber die Ausnahme und wurde etwa in Krisenzeiten (z.B. Finanzmarktstabilisierungsgesetz) praktiziert. Eine generelle Abschaffung der Beteiligung des Bundesrats ist verfassungsrechtlich nicht möglich.

2. Verkürzte Fristen und “Turbotempo”

Tatsächlich beklagen Experten und der Normenkontrollrat, dass in den letzten Jahren die Fristen im Gesetzgebungsverfahren immer kürzer werden – oft aus politischer Eile, nicht nur wegen externer Krisen. Es gibt aber keine neue gesetzliche Grundlage, die das Verfahren grundsätzlich beschleunigt oder Fristen abschafft. Die Möglichkeit, Gesetze im Eilverfahren zu behandeln, besteht schon lange, wird aber normalerweise sparsam eingesetzt.

3. Die angekündigten Gesetzesvorhaben

Viele der genannten Vorhaben finden sich tatsächlich im Sofortprogramm der neuen Koalition und im Koalitionsvertrag wieder. Zu den wichtigsten Punkten:

  • Aktivrente: Rentner sollen bis zu 2.000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen dürfen, um den Arbeitsmarkt zu entlasten und den demografischen Wandel abzufedern. Das ist Teil des Koalitionsvertrags und wurde von der Regierung bestätigt.
  • Abschaffung des Bürgergeldes/Einführung Grundsicherung: Die Koalition plant, das Bürgergeld durch eine neue Grundsicherung mit strengeren Regeln und mehr Sanktionen zu ersetzen. Allerdings wird die Umsetzung als komplex beschrieben und ist frühestens für 2027 realistisch.
  • Arbeitszeitgesetz: Es gibt Pläne, die tägliche Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Maximalarbeitszeit zu flexibilisieren. Details und konkrete Gesetzestexte stehen aber noch aus.
  • Stromsteuer-Senkung, Pendlerpauschale, Super-Abschreibung, Mietpreisbremse: Diese Maßnahmen sind Teil des Sofortprogramms und sollen die Wirtschaft ankurbeln sowie Entlastungen für Bürger und Unternehmen bringen.

Einschätzung: Revolution oder politischer Aktionismus?

Die Meldung über ein “neues Verfahren” ist irreführend. Die Möglichkeit, Gesetze direkt aus der Mitte des Bundestages einzubringen und Fristen zu verkürzen, besteht seit jeher. Es gibt keine grundlegende Änderung des Gesetzgebungsverfahrens, sondern die neue Regierung nutzt die bestehenden Spielräume maximal aus, um politische Projekte schnell umzusetzen. Die Beteiligung von Bundesrat und Bundesregierung bei zustimmungspflichtigen Gesetzen bleibt bestehen – ein komplettes “Durchdrücken” ohne Beteiligung der Länderkammer ist nicht möglich.

Was tatsächlich auffällt, ist der politische Wille, zentrale Wahlversprechen sehr zügig auf den Weg zu bringen. Der Koalitionsausschuss hat ein umfangreiches Sofortprogramm beschlossen, das viele der genannten Maßnahmen enthält. Die Umsetzungsgeschwindigkeit wird durch die parlamentarische Mehrheit und die Nutzung bestehender Eilverfahren beschleunigt, aber nicht durch ein neues, eigens geschaffenes Verfahren.


Fazit: Viel Tempo, wenig Revolution

Die Bundesregierung setzt auf Geschwindigkeit und nutzt die parlamentarischen Möglichkeiten, um zentrale Reformen voranzutreiben. Die angekündigten Gesetzesvorhaben sind real und decken sich mit den Aussagen der Koalition. Ein völlig neues Gesetzgebungsverfahren gibt es jedoch nicht. Die Beteiligung des Bundesrats und die verfassungsrechtlichen Vorgaben bleiben bestehen. Die eigentliche Neuerung ist der politische Wille, die Dinge schnell zu entscheiden – und das ist im politischen Betrieb Deutschlands durchaus bemerkenswert, aber keine juristische Revolution.

Kurz gesagt: Die Regierung macht Tempo, aber sie erfindet das Gesetzgebungsverfahren nicht neu. Wer von “Turbotempo-Gesetzen” spricht, liegt nicht ganz falsch – aber die demokratischen Kontrollmechanismen bleiben erhalten.

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