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Diabetes-Diagnostik: Wenn der HbA1c plötzlich „zu gut“ ist – Was steckt dahinter?

Ein überraschend niedriger HbA1c-Wert bei einem 60-jährigen Menschen mit bekanntem Diabetes mellitus – und das ohne erkennbare Veränderung im Lebensstil oder der Medikation – kann zunächst erfreulich erscheinen. Doch solche Ergebnisse sollten nicht vorschnell als Therapieerfolg gewertet werden. Vielmehr lohnt sich ein kritischer Blick auf mögliche Ursachen, denn der HbA1c ist zwar ein zentraler Marker, aber nicht frei von Störfaktoren.

In diesem Beitrag erfahren Sie, was ein auffällig niedriger HbA1c bedeuten kann, welche Einflussfaktoren berücksichtigt werden müssen und worauf Betroffene sowie Ärzt:innen in der Praxis achten sollten.


Was misst der HbA1c überhaupt – und wie zuverlässig ist er?

Der HbA1c-Wert, auch „Langzeitblutzucker“ genannt, beschreibt den Anteil des Blutzuckers, der sich an das Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) der Erythrozyten gebunden hat. Da rote Blutkörperchen eine Lebensdauer von etwa 120 Tagen haben, spiegelt der HbA1c den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel der letzten zwei bis drei Monate wider.

Ein dauerhaft erhöhter Wert weist auf eine schlechte Blutzuckereinstellung und ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen hin. Umgekehrt gilt ein Wert im Zielbereich meist als Hinweis auf eine gute Stoffwechseleinstellung – jedoch nur unter der Voraussetzung, dass keine verfälschenden Einflüsse vorliegen.


Ursachen für einen auffällig niedrigen HbA1c-Wert

1. Verkürzte Lebensdauer der roten Blutkörperchen

Der HbA1c ist abhängig von der Zeit, die ein Erythrozyt im Blut zirkuliert. Wenn Erythrozyten vorzeitig abgebaut oder durch neue ersetzt werden, hat der Zucker weniger Zeit, sich anzulagern – der HbA1c fällt niedriger aus, obwohl der tatsächliche Blutzuckerspiegel höher gewesen sein könnte.

Mögliche Ursachen:

  • Hämolytische Anämien (z. B. bei Sichelzellanämie)
  • Blutverluste oder Bluttransfusionen
  • Eisen-, Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangel (bzw. deren Therapie)
  • Chronische Entzündungen

2. Störungen durch Grunderkrankungen oder Medikamente

Verschiedene Erkrankungen und Medikamente beeinflussen ebenfalls die HbA1c-Werte:

  • Chronische Nierenerkrankung: verändert die Lebensdauer von Erythrozyten und beeinflusst die HbA1c-Konzentration.
  • Leberzirrhose: stört den Glukosestoffwechsel und kann HbA1c-Werte verfälschen.
  • Hämoglobinopathien (z. B. Thalassämie, HbS-Varianten)
  • Alkoholmissbrauch oder hohe Dosen von Antioxidantien wie Vitamin C oder E
  • Erythropoetin, Ribavirin, Chemotherapeutika

Auch akute Infekte oder Schwangerschaften können temporär den HbA1c beeinflussen.

3. Technische oder methodische Fehler bei der Messung

Nicht jede HbA1c-Messung ist gleich: Verschiedene Labors verwenden unterschiedliche Messsysteme, die unterschiedlich empfindlich auf Hämoglobinvarianten oder Störsubstanzen reagieren.

Point-of-Care-Geräte (z. B. beim Hausarzt direkt) sind oft weniger präzise als Messungen im Zentrallabor. Besonders bei auffälligen Werten sollte die Messung wiederholt und ggf. mit einem anderen Verfahren kontrolliert werden.

4. Veränderungen im Alltag – ohne bewusste Lebensstiländerung

Auch unbemerkte oder kurzfristige Veränderungen können das Ergebnis beeinflussen:

  • Längere Fastenperioden
  • Unregelmäßige Nahrungsaufnahme
  • Wiederholte starke Unterzuckerungen (z. B. durch zu hohe Insulindosen)
  • Akute Erkrankungen mit Appetitverlust oder veränderter Insulinwirkung

Der HbA1c bildet nur den Durchschnitt ab – er sagt nichts über Schwankungen oder Hypoglykämien aus.


Wie sollte man in der Praxis vorgehen?

Ein einzelner, auffallend niedriger HbA1c-Wert sollte nie isoliert betrachtet werden. Vielmehr gilt:

  • Wiederholungsmessung: Idealerweise in einem anderen Labor mit anderer Methode.
  • Verlauf und Zusatzwerte betrachten: Blutzuckertagebuch, CGM-/FGM-Daten, Nüchtern- und postprandiale Blutzuckerwerte können wertvolle Hinweise liefern.
  • Medikamentenanamnese erheben: Wurden kürzlich Medikamente umgestellt, abgesetzt oder ergänzt? Gab es Infekte, Blutungen, Nahrungsergänzungsmittel?
  • Laborbefunde im Kontext betrachten: Gibt es Hinweise auf Anämien, Leber- oder Nierenerkrankungen?

Fazit: Ein niedriger HbA1c ist nicht immer Grund zur Freude

Ein HbA1c-Wert im Zielbereich bedeutet nicht automatisch, dass die Diabeteseinstellung optimal ist. Besonders dann, wenn die Blutzucker-Selbstkontrollen nicht zu dem Wert passen oder Symptome bestehen, sollte eine tiefergehende Abklärung erfolgen.

Wichtige Erkenntnisse für Betroffene:

  • Vertrauen Sie auf Ihr Körpergefühl und Ihre Blutzuckermesswerte – nicht nur auf einen Laborwert.
  • Dokumentieren Sie auffällige Schwankungen im Blutzuckertagebuch.
  • Fragen Sie bei Unklarheiten aktiv bei Ihrem Behandlungsteam nach.
  • Wiederholen Sie ungewöhnliche Werte unter standardisierten Bedingungen.

Abschließende Empfehlung:
Der HbA1c bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil der Diabetesdiagnostik – doch seine Aussagekraft ist nicht unfehlbar. In Kombination mit anderen Parametern, ärztlicher Erfahrung und einer sorgfältigen Anamnese entsteht ein realistisches Bild der tatsächlichen Stoffwechsellage. Nur so lassen sich Fehldeutungen vermeiden – und echte Fortschritte erkennen.

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