Das Versprechen des Intervallfastens – und seine Schattenseiten
Intervallfasten, insbesondere die populäre 16:8-Methode (16 Stunden Fasten, 8 Stunden Essenszeit), gilt als moderne „Lifestyle-Diät“. Sie wird vielfach als gesundheitsfördernd, gewichtsreduzierend und vorteilhaft bei Prädiabetes und metabolischem Syndrom dargestellt. Doch wie belastbar sind diese Versprechen? Experten wie Dr. Stefan Kabisch von der Charité Berlin betonen: Die derzeitige mediale Euphorie steht auf einem wissenschaftlich unsicheren Fundament.
Keine Magie beim Abnehmen – Intervallfasten ist keine Wunderdiät
Zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) und Metaanalysen zeigen ein konsistentes Bild:
Intervallfasten führt im Vergleich zu klassischen Diäten mit kontinuierlicher Kalorienreduktion nicht zu überlegenen Gewichtsverlusten. Entscheidend bleibt die Gesamtbilanz: Wer weniger Kalorien zu sich nimmt, nimmt ab – unabhängig vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme.
Auch hinsichtlich der Stoffwechselgesundheit, etwa bei Blutzuckerwerten, Blutfetten oder Entzündungsmarkern, konnten keine durchweg überlegenen Effekte des Fastens gegenüber einer konventionellen Diät nachgewiesen werden. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass viszerales Fett – insbesondere das gesundheitlich riskante Bauchfett – bei durchgängig reduzierter Kalorienzufuhr effektiver reduziert wird als beim intermittierenden Fasten.
Muskelabbau beim Fasten: Risiko oder Mythos?
Ein zentraler Kritikpunkt am Intervallfasten betrifft den Verlust an fettfreier Körpermasse, insbesondere Muskelmasse. Studien zeigen, dass intermittierende Fastenmethoden – vor allem bei unzureichender Proteinzufuhr und ohne körperliches Training – zu einem überproportionalen Verlust von Muskelgewebe führen können.
Konkrete Ergebnisse:
- Bei einigen Probanden war der Anteil des verlorenen Gewichts etwa zur Hälfte auf Muskulatur, zur Hälfte auf Fettgewebe zurückzuführen.
- Dagegen zeigen Diäten mit moderater Kalorienrestriktion, aber regelmäßiger Proteinzufuhr und Bewegung, deutlich geringeren Muskelverlust – manchmal fast ausschließlich Fettabbau.
Allerdings gibt es auch differenzierende Erkenntnisse:
Eine Metaanalyse von 13 RCTs an übergewichtigen Erwachsenen zeigte, dass bei ausreichender Eiweißzufuhr und körperlicher Aktivität der Erhalt der Muskelmasse sehr wohl möglich ist – insbesondere dann, wenn das Essensfenster in die frühen Tagesstunden gelegt wird („early time-restricted eating“). Frühzeitige Nahrungsaufnahme harmoniert besser mit dem zirkadianen Rhythmus und kann sowohl Stoffwechsel als auch Appetitregulation positiv beeinflussen.
Fazit: Der Muskelabbau beim Intervallfasten ist kein Mythos – aber auch kein Automatismus. Mit gezielter Ernährung und Krafttraining kann er verhindert, teils sogar in Muskelaufbau umgekehrt werden.
Effekte auf Diabetiker und andere Risikogruppen
Besondere Vorsicht gilt bei Menschen mit chronischen Erkrankungen, vor allem bei Typ-2-Diabetikern, Herzpatienten und älteren Menschen. Während manche Studien leichte Verbesserungen der Insulinempfindlichkeit zeigen, berichten andere von Verschlechterungen der Blutzuckerwerte, etwa während des Ramadan-Fastens oder bei konsequentem Verzicht auf das Frühstück.
Kritische Aspekte:
- Fasten kann bei Diabetikern zu Unter- oder Überzuckerung führen, insbesondere bei bestehender Medikation (z. B. Insulin oder Sulfonylharnstoffe), wenn diese nicht ärztlich angepasst wird.
- Für ältere Menschen ist Intervallfasten problematisch, da sie von Natur aus schneller Muskelmasse verlieren („Sarkopenie“) und oft unzureichend essen – was das Risiko von Mangelernährung erhöht.
- Auch Patienten mit Krebserkrankungen oder bestehenden Essstörungen (z. B. Anorexie, Binge-Eating) sollten Intervallfasten vermeiden.
Wichtig: Fasten kann in diesen Gruppen nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen – wenn überhaupt.
Wer profitiert vom Intervallfasten – und wer nicht?
Geeignet ist Intervallfasten:
- Für gesunde Erwachsene mit ausreichender Muskelmasse und normalem BMI bis moderatem Übergewicht.
- Für Menschen, die mit täglicher Kalorienreduktion Schwierigkeiten haben, jedoch gut mit strukturierten Essensfenstern umgehen können.
- Bei individueller Präferenz – etwa, weil Frühstück ohnehin ausgelassen wird oder Abendessen wegfällt.
Nicht geeignet ist Intervallfasten:
- Für ältere Erwachsene (ab etwa 50 Jahren), insbesondere mit abnehmender Muskelmasse.
- Für Menschen mit Vorerkrankungen, wie Diabetes, Herzinsuffizienz oder Krebs – ohne ärztliche Begleitung.
- Für Schwangere, Stillende oder Menschen mit jeglicher Form von Essstörung.
Fazit: Entzauberter Hype – aber kein nutzloses Konzept
Intervallfasten ist kein Allheilmittel, das automatisch zu Gesundheit, Gewichtsverlust oder besserem Stoffwechsel führt. Die positive Wirkung beruht maßgeblich auf der reduzierten Kalorienaufnahme – und nicht auf dem Fasten an sich. Studien zeigen: Es ist nicht effektiver, aber auch nicht schlechter als andere Diätformen – solange die Kalorienbilanz stimmt.
Muskelverlust ist bei unüberlegter Durchführung ein reales Risiko, lässt sich jedoch durch Proteinreiche Ernährung, Krafttraining und frühe Essfenster weitgehend vermeiden.
Für gesunde Menschen kann Intervallfasten eine praktikable Methode sein – jedoch nur, wenn es individuell passt und langfristig durchführbar ist. Die beste Ernährung bleibt am Ende: ausgewogen, nährstoffreich, proteinbetont und individuell anpassbar – mit oder ohne festgelegtes Fastenfenster.

