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Generation Z und Deutsche Identität: Zwischen Entfremdung und neuen Formen der Verbundenheit

Eine kritische Analyse der These (z.B. Welt vom 21.09.25 : Die deutsche Generation Z kann sich gar nicht mehr mit ihrem Land identifizieren

Die Behauptung, dass die Generation Z in Deutschland ihr Land ablehnt oder keine nationale Identität mehr empfindet, wird in öffentlichen Debatten zunehmend diskutiert. Häufig dient diese These als Beleg für eine angebliche „Wertekrise“ oder den „Verlust von Heimat“. Doch ein genauer Blick auf wissenschaftliche Untersuchungen, insbesondere auf die Shell Jugendstudie 2024 sowie ergänzende Forschungsarbeiten, zeigt ein differenziertes Bild: Die jungen Menschen in Deutschland sind nicht „entfremdet“, sondern entwickeln neue, eigenständige Formen von Zugehörigkeit und Identität.


Was aktuelle Forschung wirklich zeigt

Shell Jugendstudie 2024: Engagement statt Entfremdung

Die Shell Jugendstudie gilt als eine der zentralen Langzeituntersuchungen zur Situation der jungen Menschen in Deutschland. Die Ausgabe 2024 kommt zu einem klaren Ergebnis: Die Jugend ist „sehr besorgt, aber pragmatisch und optimistisch zukunftsgewandt“.

Ein wichtiger Befund betrifft das politische Interesse: Heute bezeichnen sich 50 Prozent der 12- bis 27-Jährigen als politisch interessiert – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2002, als es nur 34 Prozent waren. Dieser Befund widerspricht direkt der Behauptung einer allgemeinen Politikverdrossenheit oder Abkehr von der Gesellschaft.

Vertrauen in die Demokratie bleibt stark

Ein zentrales Element nationaler Identifikation ist das Vertrauen in die politischen Institutionen. Rund drei Viertel der Befragten geben an, dass sie ein hohes Vertrauen in die Demokratie haben – trotz multipler Krisen wie Klimawandel, Kriegen, Inflation und gesellschaftlicher Polarisierung. Diese Werte belegen, dass die Jugend keineswegs „systemfremd“ ist, sondern vielmehr nach konstruktiven Wegen sucht, die Demokratie zu gestalten.


Die Komplexität moderner Identitätsbildung

Werteorientierung statt Symbolpatriotismus

Während traditionelle Formen des Patriotismus – Fahnen, Hymnen, Nationalfeiertage – für viele junge Menschen an Relevanz verlieren, treten Werte wie Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Freiheit stärker in den Vordergrund.

So geben 80 Prozent der Befragten an, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich sei. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) ist bereit, ihr Verhalten zugunsten von Klima und Umwelt zu verändern. Diese Haltung zeigt, dass Verantwortung für das Gemeinwesen heute eher über globale Themen wie Klimaschutz vermittelt wird – eine neue, aber ebenso starke Form der Verbundenheit mit Land und Gesellschaft.

Globale und europäische Perspektiven

Die Generation Z wächst in einer vernetzten, globalisierten Welt auf. Internationale Bildungswege, digitale Netzwerke und europäische Freizügigkeit prägen das Zugehörigkeitsgefühl. Nationale Identität wird dadurch nicht ersetzt, sondern in einen erweiterten Rahmen gestellt: Deutschland wird stärker als Teil Europas und der globalen Gemeinschaft verstanden. Das bedeutet: Die Identifikation verschiebt sich von national-symbolisch hin zu transnational-werteorientiert.


Sorgen und Herausforderungen der Generation Z

Zukunftsängste sind real

81 Prozent der jungen Menschen äußern Angst vor einem möglichen Krieg in Europa. Hinzu kommen wirtschaftliche Sorgen: Rund ein Drittel (34 Prozent) bezeichnet die steigenden Lebenshaltungskosten als größte Belastung. Diese Zahlen zeigen eine hohe Sensibilität für gesellschaftliche Risiken – jedoch nicht Entfremdung, sondern kritische Wachsamkeit.

Rückzug aus polarisierten Debatten

Die VCI-Studie zeigt, dass viele Jugendliche in sozialen Netzwerken Zurückhaltung üben, weil sie Angst haben, dort angegriffen oder stigmatisiert zu werden. Dies darf nicht als Desinteresse missverstanden werden. Vielmehr handelt es sich um eine Schutzstrategie in hochpolarisierten Diskursräumen.


Politische Instrumentalisierung der These

Rechte Narrative und vereinfachte Identitätsbilder

Die Behauptung, die Jugend sei „entfremdet“, wird besonders häufig von rechtspopulistischen Akteuren genutzt. Sie konstruieren ein Bild vom „wahren Deutschen“, dem angeblich eine „entwurzelte Jugend“ gegenübersteht. Diese vereinfachende Rhetorik blendet die Vielschichtigkeit moderner Identitätsprozesse aus und verengt das Verständnis von Zugehörigkeit auf ethnisch-nationale Kategorien.

Gefahren der Verzerrung

Die Reduzierung komplexer Identitätsfragen auf ein Entfremdungsnarrativ birgt Risiken: Sie fördert Spaltung, schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ignoriert die tatsächliche Werteorientierung der Generation Z.


Chancen und Aufgaben für Deutschlands Zukunft

Positive Perspektiven

Die Shell Jugendstudie 2024 zeigt: Die Generation Z ist pragmatisch, tolerant, kritisch – und zugleich optimistisch. Sie verbindet gesellschaftliche Skepsis mit dem Willen zur Mitgestaltung.

Aufgabe der Politik

Die Politik ist gefordert, diesen neuen Formen der Partizipation Raum zu geben. Statt die Jugend über traditionellen Patriotismus belehren zu wollen, sollte sie ernsthaft auf ihre Sorgen eingehen: Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Sicherheit, wirtschaftliche Perspektiven. Authentizität und Dialogfähigkeit sind dabei entscheidender als symbolische Gesten.

Gesellschaftlicher Wandel

Anstelle eines engen Nationalverständnisses entwickelt sich eine wertebasierte Identität, die Demokratie und Menschenrechte in den Mittelpunkt rückt. Dieser Wandel bedeutet nicht Verlust, sondern eine Erweiterung und Modernisierung der Verbundenheit mit Deutschland.


Fazit: Mythos Entfremdung

Die These, die Generation Z könne sich nicht mehr mit Deutschland identifizieren, erweist sich bei genauer Analyse als überholt und empirisch nicht haltbar.

Die Realität lautet:

  • Junge Menschen entwickeln neue, pluralistische Formen der Identifikation, die stärker an Werten als an Symbolen orientiert sind.
  • Sie sind kritisch, aber zugleich engagiert und bereit, Verantwortung zu übernehmen.
  • Ihre Sorgen führen nicht zu Resignation, sondern häufig zu verstärktem Engagement.

Die eigentliche Herausforderung besteht darin, dass Politik und Gesellschaft diese veränderten Formen der Identität verstehen, ernst nehmen und konstruktiv aufgreifen.

Am Ende steht nicht die Frage, ob die Generation Z sich mit Deutschland identifiziert – sondern ob Deutschland bereit ist, die Generation Z in ihrer Vielfalt, Kritikfähigkeit und Innovationskraft als Teil seiner Identität anzuerkennen.

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