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Energiewende zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Droht der teure Irrweg?

Die deutsche Energiewende gilt international seit Jahren als Leuchtturmprojekt: der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien, der Atomausstieg, die ambitionierten Klimaziele. Doch während Deutschland außenpolitisch oft als Vorreiter gelobt wird, nimmt im Inland die Skepsis spürbar zu. Eine aktuelle, im Auftrag der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) von Frontier Economics erstellte Studie wirft ernste Fragen auf: Ist der eingeschlagene Kurs finanzierbar – oder steuert Deutschland auf einen kostspieligen Irrweg?


Die Kostenexplosion der Energiewende

Die Studie legt offen, dass die bislang getätigten Investitionen nicht annähernd ausreichen, um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen. Vielmehr öffnet sich eine enorme Finanzierungslücke:

  • Bisherige jährliche Investitionen (2020–2024): ca. 82 Milliarden Euro
  • Notwendige jährliche Investitionen bis 2035: 113 bis 316 Milliarden Euro
  • Gesamtkosten 2025–2049: 4,8 bis 5,4 Billionen Euro für Energieerzeugung, Netzausbau, Betriebskosten und Energieimporte

Zum Vergleich: Alle privaten Investitionen in Deutschland beliefen sich 2024 auf rund 770 Milliarden Euro. Damit würde die Energiewende zusätzliche 15 bis 41 Prozent erfordern – ein massiver Aufschlag, der in dieser Dimension bisher nicht politisch vermittelt wurde.


Belastung für Bürger und Unternehmen

Die Modellrechnungen verdeutlichen, wie sich diese Summen in der Praxis verteilen könnten:

  • Gesamtbelastung pro Jahr: 192 bis 216 Milliarden Euro
  • Finanzierung über Steuern:
    • 35 % über Einkommen- und Lohnsteuer (private Haushalte)
    • 27 % über Unternehmenssteuern
    • 38 % über Verbrauchssteuern

Für einzelne Akteure hieße das:

  • Durchschnittlicher Haushalt: 3.300 bis 3.800 Euro pro Jahr
  • Unternehmen: 15.000 bis 17.000 Euro pro Jahr

Dies entspricht spürbaren Mehrkosten, die Kaufkraft, Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbereitschaft gleichermaßen belasten würden.


Risiken für Wirtschaft und Wohlstand

Die DIHK warnt in diesem Zusammenhang vor einer gefährlichen Dynamik:

  • Industrieabwanderung: Energieintensive Branchen wie Chemie, Zement oder Stahl verlagern Teile der Produktion bereits ins Ausland. Dieser Trend könnte sich verstärken, wenn Energie in Deutschland dauerhaft teurer bleibt.
  • Arbeitsplätze und Wertschöpfung: Durch Produktionsverlagerungen droht nicht nur Arbeitsplatzverlust, sondern auch der Verlust ganzer Wertschöpfungsketten.
  • Versorgungssicherheit: Trotz Milliardeninvestitionen könnte eine Überregulierung dazu führen, dass die Strom- und Gasversorgung nicht stabil gewährleistet bleibt.

Besonders brisant: Laut Studie könnten bis zu 2,3 Billionen Euro weiterhin für Energieimporte anfallen – obwohl politische Zielsetzungen gerade mehr Unabhängigkeit von Importen versprechen.


Der „Plan B“ der DIHK

Um Kostenexplosion und Fehlsteuerungen entgegenzuwirken, schlägt die DIHK einen grundlegend anderen Kurs vor:

  1. CO₂-Handel statt Detailvorgaben: Ein international abgestimmtes Emissionshandelssystem soll das zentrale Steuerungsinstrument sein – effizienter und kostengünstiger als bürokratische Detailvorgaben.
  2. Technologieoffenheit: Nicht nur Wind und Solar, sondern auch Wasserstoff, Biomethan sowie CO₂-Abscheidung und Speicherung (CCS) sollen berücksichtigt werden.
  3. Bestehende Gasnetze nutzen: Umstellung auf klimaneutrale Gase, statt aufwändigen Rückbau.
  4. Bürokratieabbau: Weniger Detailregeln, flexiblere nationale Gesetze und ein Abbau europäischer Überregulierung.
  5. Internationale Kooperation: Nutzung und Anrechnung zertifizierter Klimaschutzprojekte im Ausland.

Durch diesen Kurs könnten bis 2050 zwischen 530 und 910 Milliarden Euro eingespart werden. Würde zusätzlich das Klimaneutralitätsziel leicht verschoben, kämen weitere 80 bis 220 Milliarden Euro hinzu – zusammen über eine Billion Euro.


Internationale Vergleiche

Ein Blick ins Ausland zeigt, wie unterschiedlich große Volkswirtschaften die Energiewende angehen:

  • Europäische Union: Der „Green Deal“ setzt ambitionierte Ziele, leidet jedoch an einer starken Bürokratisierung und fehlender Harmonisierung.
  • USA: Der „Inflation Reduction Act“ setzt stärker auf Investitionsanreize, Subventionen und Steuererleichterungen – weniger Zwang, mehr Marktdynamik.
  • Internationale Energieagentur (IEA): Betont immer wieder, dass nur Innovation, Kosteneffizienz und Flexibilität sicherstellen können, dass Klimaziele erreicht werden, ohne Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden.

Der Kurs der Merz-Regierung

Bundeskanzler Friedrich Merz bekennt sich zwar klar zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045, will jedoch stärker Industrieinteressen und Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt stellen. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen:

  • Strompreisreduktion durch Wegfall der Gasspeicherumlage, niedrigere Netzentgelte und eine Senkung der Stromsteuer
  • Investitionsanreize über ein 100-Milliarden-Euro-Paket für klimafreundliche Technologien
  • Zurückhaltung beim Kohle- und Gasausstieg, solange sichere Ersatzkapazitäten nicht bereitstehen

Doch Kritiker warnen: Kurzfristige Entlastungen könnten langfristige Investitionen in Netze, Speicher und Erzeugung bremsen – genau jene Bausteine, die für Klimaneutralität unverzichtbar sind.


Fazit: Eine Balance ist dringend erforderlich

Die Analyse macht deutlich:

  • Die Klimaziele sind richtig und notwendig, doch der aktuelle Weg ist überteuert und bürokratisch.
  • Ohne breite Investitionsbereitschaft von Staat, Wirtschaft und Privathaushalten droht die Energiewende finanziell zu scheitern.
  • Ein flexibler, technologieoffener und international abgestimmter Ansatz könnte Kosten spürbar senken, Akzeptanz erhöhen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit sichern.

Deutschland steht somit an einem Scheideweg: Entweder den kostenintensiven, bürokratischen Kurs fortsetzen – oder eine klügere, marktorientierte Energiewende einschlagen, die Klimaschutz und wirtschaftliche Stärke miteinander verbindet.

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